Femizide in Deutschland
von Sophie Jacob (MSS 11)
Bei dem Wort Femizid sieht man in vielen Gesichtern oft Fragezeichen. Und warum? Es wird zu wenig darüber gesprochen. Warum genau der Begriff juristisch nicht gebraucht wird und ob das Maß an Strafe in Deutschland gerechtfertigt ist, ist unklar. Genau über solche Fragen will ich in diesem Artikel sprechen.
Femizide in Europa im Jahr 2015 (Wikimedia Commons)
Hintergründe zum Thema Femizide
1976 prägte die Soziologin Diane Russell den Begriff Femizid, der sich aus dem
englischen Wort Femicide ableitet. Grundlegend wird damit die vorsätzliche Tötung von Frauen bezeichnet, die nur einen Grund hat: Es sind Frauen.
Mehr als 100 Frauen werden jährlich von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet,
jedoch werden beinahe jeden Tag Tötungsversuche an Frauen polizeilich registriert.
Die Dunkelziffer von allgemeiner körperlicher Gewalt durch den Lebenspartner, die
ebenfalls lebensgefährlich ausgehen kann, könnte aufgrund von verborgener Gewalt durch Angst noch höher sein. Der Hintergrund sind oft geschlechtsspezifische Macht- und Hierarchieverhältnisse zwischen Mann und Frau. Fasst man die Definition weiter, kann man unter dem Begriff Femizid alle Ermordungen an Frauen und Mädchen verstehen, also auch ihre Tötung durch Familienmitglieder im Kontext von sexualisierter Gewalt.
Das BKA hat seit 2015 die Gewalt in Partnerschaft statistisch ausgewertet. Hierbei wurde nachgewiesen, dass es sich in den meisten Fällen um weibliche Opfer handelt, nahezu in 90 Prozent der Fälle. 2021 starben rund 113 Frauen durch Gewalt in der Partnerschaft, dagegen nur 14 Männer. Was genau in den Köpfen der Täter vorgeht, weiß niemand, naheliegend ist jedoch der Gedanke, dass eine Frau in der Partnerschaft nur dem Mann gehört, es geht also um das Besitzdenken.
Täter, Opfer und Möglichkeiten der Prävention
Grundlegend gibt es bei Femiziden keinen Typus-Täter. Bekannt sind Täter jeder Herkunft beziehungsweise aus allen Schichten. Zum Mord kommt es oft , wenn sich Frauen aus einer toxischen, also einer besitzergreifenden, Beziehung lösen wollen und der Mann sich in seiner Kontrolle der Frau verletzt fühlt. Der Mord ist in diesen Fällen nur selten eine Spontanhandlung, sondern meist eine geplante Tat. Aber wie kann Femiziden vorgebeugt werden?
Monika Schröttle, die das „European Observatory on Femicide“ koordiniert und
den Bereich Gender, Gewalt und Menschenrechte an der Universität
Erlangen-Nürnberg leitet, fordert hierzu mehr Prävention, mehr Konfliktberatung, mehr Täterarbeit und mehr Anti-Gewalt-Trainings, welche oft zum Verhindern von
terroristischen Akten angeboten werden, die jedoch viel seltener vorkommen als Gewalt gegen Frauen. Eine andere Stellschraube wäre die Koordination von Hilfsangeboten und die uneingeschränkte Unterstützung von gefährdeten Frauen. Eine schnellere und bessere Analyse von Hochrisikofällen ist absolut nötig. Hierbei müssen verschiedene Behörden wie das Jugendamt, das Familiengericht
und das Strafgericht Hand in Hand arbeiten und die Situation ernst nehmen.
Femizid und Feminizid
Femizid ist nicht gleich Feminizid: Während die Bedeutung des ersteren bereits geklärt ist, kann Feminizid nicht als Synonym verwendet werden. Bei einem Feminizid handelt es sich um eine untergeordnete Form des Femizids, hierbei geht es um das Verhalten des Staats, wenn dieser keine Maßnahmen gegen die steigenden Zahlen unternimmt und somit mit in die Verantwortung von Frauenmord gezogen wird. Dabei wandert der Fokus auf gesellschaftliche Machtstrukturen und die patriarchalischen Denkmuster. Das Wort selbst schafft einen gesellschaftskritischen Blick, um zu hinterfragen, wie Frauen und auch Mädchen vom Staat gesehen werden.
Für den Mord an Frauen durch ihre (Ex-) Partner gibt es bereits einen eigenen
Begriff, den Beziehungs- oder Trennungsfemizid. Die Bewertung im
deutschen Strafrecht wird je nach Art des Tötungsdelikts verschieden eingestuft.
Wird der Delikt als Mord angesehen, ist die Strafe des Täters höher als bei der
Einstufung als Totschlag. Hierbei ist interessant, das die sogenannten Ehrenmorde,
also die Ermordung eines Familienmitglieds aus kulturellen Gründen, um diese von einer begangenen „Schande“ zu befreien, unter den Oberbegriff Femizid fallen.
Der deutsche Rechtsstaat befasste sich die letzten Jahre mit der Einstufung der
Ehrenmorde. Dabei fallen Femizide kaum auf, da sie oft undokumentiert bleiben.
Zum juristischen Umgang mit Femiziden
Von den 111 weiblichen Opfern eines Mordes in einer aktuellen oder ehemaligen
Partnerschaft ist nicht bekannt, ob alle Tötungsdelikte als Femizid eingestuft wurden. Die erschreckende Anzahl der Tötungen durch den Partner lässt jedoch vermuten, dass Trennungsfemizide die häufigste Kategorie von Frauenmorden in Deutschland darstellen. Diese Morde werden jedoch oftmals als Mord mit niedrigen Beweggründen eingestuft, was das Strafmaß mindert. Niedere Beweggründe werden meist jedoch nur bejaht, wenn der Mann seine Partnerin tötet, weil er sie zu besitzen glaubt. Kommen jedoch Gefühle der Verzweiflung, wie zum Beispiel durch eine Trennung der Frau und ein mögliches Verlieren dieser, ins Spiel, werden die niederen Beweggründe grundsätzlich nicht bejaht, sodass der Täter wegen Totschlags verurteilt wird.
Der BGH (Bundesgerichtshof) spricht hierbei von „berauben“ und „verlieren“.
Analysiert man diese Wortwahl, so spiegelt sie die patriarchalischen Denkweisen
unseres Staates wieder, da dieser eine Frau zu einer Art Objekt degradiert, bei dem
der Täter fürchtet, ihr „beraubt“ werden zu können. Vermeintliche Besitzansprüche werden so durch den BGH reproduziert und als eine Ursache für niedrige Beweggründe angenommen. Der BGH kritisiert also die Gedanken des Täters, verwendet diese jedoch in seiner Wortwahl selbst.
Die Separation von Gefühlen der inneren Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit ist
unverständlich, da diese meist durch Paarung mit Gefühlen wie Wut, Enttäuschung,
Verlustangst und Verzweiflung bei niedrigen Beweggründen bejaht werden. Dieses
Bündel spricht also für den Täter, wodurch Mord verneint werden kann.
Aus diesen Gründen fordern viele den Femizid als eigenen Tatbestand und nennen
lateinamerikanische Länder als Vorbild, in denen dieser Strafbestand bereits
festgeschrieben ist. In Europa gibt es keine vergleichbare Gesetzgebung, da überall Kritiker für eine solche Regelung zu finden sind.
Femizid – eine eigene Straftat?
Diese stützen sich bei Diskussionen oft auf dieselben Argumente: Durch einen eigenen Tatbestand besteht die Gefahr, dass das Thema als „abgeschlossen“ gesehen werden kann beziehungsweise dieser Strafbestand in bestimmten Fällen als Entschuldigung wirken kann. Hierbei wird die eigentliche gesellschaftliche Auseinandersetzung hinsichtlich der Gewalt an Frauen nicht aufgegriffen, sondern ausgeklammert. Zur Entkräftung des vorgenannten Arguments ist zu erwähnen, dass ein eigener und neuer Tatbestand zu einer öffentlichen Debatte führen kann und somit Gewalt an Frauen und Femizide einfacher statistisch belegt werden können und so mehr Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregen.
Blickt man weiter auf die Pro-Seite der Diskussion, ist vor allem zu nennen, dass durch einen neuen Strafbestand eine angemessene Bestrafung der Täter ermöglicht wird, die der Istanbul-Konvention, also dem Übereinkommen des Europarats zur
Bekämpfung von Gewalt an Frauen, gerecht wird. In dieser wird gefordert,
mithilfe der Anwendung des Strafrechts (Art. 46) explizit schärfere Strafen zu verhängen, sollte die Gewaltanwendung gegenüber der Frau vom Ex- oder Partner kommen, eben schärfer als ohne Berücksichtigung der Täter-Opfer Beziehung (Art.43). Grundlegend liegt jedoch keine rechtliche Strafbarkeitslücke im deutschen
Strafrecht, da mehr die Rechtsanwendung und nicht die Rechtsgrundlage selbst zu
dem ungenügenden Ergebnis führt. Der Fokus sollte in Sachen Femizide also
mehr auf den Richter/-innen und Juristen/-innen liegen – und auf einer Abwendung von frauenfeindlichen Strukturen in der Rechtsanwendung, die ohne Vorurteile und patriarchalische Denkweisen erfolgen sollte. Hierzu müssen jedoch das juristische Fachpersonal auf eine gesellschaftskritische Art und Weise ausgebildet werden. Die Erweiterung von § 46 Abs. 2 S.2 StGB hätte einen positiven Effekt auf den öffentlichen Diskurs und könnte als Anstoß dienen, sich mehr mit geschlechtsbasierter Gewalt auseinanderzusetzen und die juristische Ausbildung in diesem Sinne zu fördern.
Abschließend ist zu sagen, dass der Strafbestand „Femizid“ nicht unbedingt nötig ist, man sich jedoch damit beschäftigen muss, wie Femizide in der Gesellschaft wahrgenommen und in der juristischen Ausbildung behandelt werden.
Sexualität – ein Thema in der Schule?
von Hannah Pütz (MSS 11)
Was ist eigentlich Feminismus?
von Sophie Jacob (MSS 11)